Leseprobe »Mord im Zeppelin«

In den Straßen von San Francisco

Samstag, 21. April 1923, San Francisco, Amerika

Mit einem forschen Hüftschwung warf Rebeka Berlioz die Tür des Taxis zu, was die Federn an ihrem Hut zum Schwingen brachte. Voller Tatendrang hakte sie sich bei ihrem Mann unter, der gerade den Taxifahrer bezahlte und durch die Aktion aus dem Gleichgewicht geriet.

»Stimmt so!«, rief er noch, bevor sie ihn herumzog, fort von dem Auto. Das Abendkleid aus rauchblauer Seide hatte die gleiche Farbe wie ihre Augen. Blondes, zu einer Wasserwellenfrisur gelegtes Haar wurde von einer silbernen Spange gehalten. Mit schnellen Schritten ging sie über die schmale Straße, hin zu ihrem Hotel, das sich zwischen die imposant hinaufragenden Gebäude schmiegte.

»Warum hast du es so eilig?«, fragte der untergehakte Miroslav Berlioz. Er war schlank gewachsen und von dunklem Teint, die schwarzen Haare perfekt frisiert. Braune Augen, in denen kindlicher Schalk schimmerte, blickten die Frau an seiner Seite neugierig an.

Alle Einwände die den Abend betrafen, waren verschenkt, das wusste Miro, denn Becky war heute nicht dazu aufgelegt, sich in irgendeiner Weise zurückzuhalten. Und warum sollte sie auch? Diese Nacht war ihre letzte in San Francisco und sie genoss es, Feste zu feiern.

Mit einem strahlenden Lächeln in Richtung des erschreckten Gentlemen, der gerade aus dem hell erleuchteten Eingang des Hotels Excelsior trat, drängte sie sich an ihm vorbei und – Miro im Schlepptau – in die Lobby.

Es war eine Vorhalle, die eher eine noble Klientel ansprach und sich dabei bemühte einzigartig zu sein, aus all den unzähligen Hotels hervorzustechen, die so gleich wirkten. Trotz seines geschulten Auges und den jahrelangen Reisen rund um die Welt konnte Miro jedoch nicht den Finger darauf legen, was diesem Haus fehlte und andere seiner Art dagegen aus der Masse hervorhob. Jedem Hotel waren die gleichen Ingredienzien eigen: Empfangstheke, Aufenthaltsraum mit bequemen aber stilvoll teuren Möbeln, geschäftige Hintergrundgeräusche von gedämpften Besprechungen, Schuhen und Gepäckkarren, wie hier bereichert vom hellen Klingeln der Aufzüge und dem leisen Klimpern des Pianospielers.

Doch manchmal war da mehr, eine Atmosphäre des Nach-Hause-Kommens oder des Besonderen eben. In diesem Hotel fehlte sie, obwohl es weder an der Einrichtung noch am Service etwas auszusetzen gab, wie er in den letzten Wochen hatte erfahren können.

Miro sah seine Frau an. »Hier endet dann also unser Abend. Ein würdiger Abschluss für …«

Bevor er den Satz beenden konnte, unterbrach ihn Becky lächelnd. »Aber nein, mein Lieber, du denkst doch nicht, dass ich nicht noch eine letzte Überraschung für dich hätte?« Ihre Augen glitzerten, als sie das sagte.

Sie drehte sich um und zog ihn mit Schwung in Richtung der drei Aufzüge im hinteren Bereich des Foyers. Vorbei an der fast deckenhohen Palme in der Mitte und den beiden mit rotem Samt bezogenen Chaiselongues daneben. Vor dem mittleren Aufzug blieb sie stehen.

Neben ihnen ging mit einem leisen Quietschen die Messingschiebetür des anderen Aufzugs auf und Miro warf einen Blick zur offenen Tür.

»Warte«, sagte Becky und grinste lausbübisch. »Wir müssen diesen Aufzug hier nehmen.«

Der im gleichen Moment auch mit einem leisen Surren vor ihnen hielt. Miro wurde mit einer kleinen Handbewegung in die Kabine gewunken, während sich Becky noch einmal verschwörerisch umsah, bevor auch sie in den Aufzug trat. »Hallo Eddie, die Ananas bitte«, sagte sie zu dem Aufzugführer und zwinkerte ihm dabei zu.

»Alles klar, Misses Berlioz, wird sofort gemacht.« Eddie, der Liftboy, drückte auf eine Taste mit einem großen »P«, grinste dann und steckte die Daumen in die Taschen seiner Pagenuniform. Der Aufzug fuhr sacht hinauf.

Miro sah seine Frau mit einer hochgezogenen Augenbraue an. Er wusste, dass sie heute mit dem Direktor des Hotels zu Mittag gegessen hatte, um eine mögliche Investition in sein Haus zu besprechen. Das war ihr Auftrag auf dieser Reise gewesen: Während er im Westen der USA eine Reihe von Zaubershows abgehalten hatte, mit überragendem Erfolg, wohlgemerkt, hatte Becky im Namen ihrer Familie mit einigen Hotels verhandelt, um das Auslandsgeschäft der Hoteliers Rose zu erweitern.

Eine große Aufgabe, in die sie bravurös hineingewachsen war, wie er zugeben musste.Sie hatte ein Talent dafür, das Außergewöhnliche zu finden. Als er sie kennengelernt hatte, war sie eine der üblichen Damen der guten Gesellschaft gewesen, ihre Tage hatten aus Kaffeekränzchen, Spendengalas, Lokaleröffnungen, Abendessen, Revuen und ungezählten Umtrünken bestanden. Ein Leben mit Klatsch und Tratsch, hun­derten Bekannten und wenigen Freunden.

Als dann vor fast einem Jahr, kurz nach ihrer schicksalhaften Begegnung in Marienbad, Beckys Vater gestorben war, änderte sich das alles grundlegend. Das leichte Leben einer reichen jungen Dame aus guter Gesellschaft war beendet, stattdessen begann sie, ihren älteren Bruder tatkräftig bei der Führung der Hotels zu unterstützen, aus denen die Familie ihren Reichtum bezog.

Plötzlich waren nicht mehr Gesellschaften Beckys Lebensmittelpunkt, sondern Gewinnmaximierung, Umsatz, Steuern und Verantwortung für hunderte Angestellte. Miro war überrascht gewesen von dieser Rebeka Rose, die sich den Gerüchten zum Trotz pragmatisch und ohne zu zögern in ihre neue Rolle eingefunden hatte.

In einem Punkt hatte sich Becky aber nicht verändert: Sie genoß das Leben – und damit auch das Feiern – immer noch in vollen Zügen. Vielleicht gerade wegen der Verluste in ihrer Familie. Er war also gespannt, was sie für den heutigen Abend arrangiert hatte.

»Ich wusste gar nicht, dass das Hotel ein Penthouse hat«, sagte er neugierig. »Und man kann es nur mit diesem Lift erreichen?«

Das stolze Grinsen des Liftboys strahlte mit den frisch polierten Knöpfen seiner Uniform um die Wette. »Is’ nur für besondere Gäste, das Stockwerk da.«

Mit einem leisen Glockenschlag hielt der Aufzug – vor einer Wand aus roten Ziegeln.

Miro lächelte, denn er hatte eine ganz bestimmte Idee. »Kein Stromausfall, vermute ich«, sagte er leichthin, »eher eine Geheimtür, nicht wahr?«

Becky nickte anerkennend. »Eddie, wenn ich bitten darf.«

»Klar, Misses Berlioz.« Der Liftboy zog die Messinggitter beiseite, drückte auf einen der Ziegelsteine, und ging dann wieder einen Schritt zurück in seine übliche Position neben den schimmernden Hebeln und Knöpfen der Bedienelemente. »Viel Vergnügen!«, gab er ihnen noch mit auf den Weg.

Im Mauerwerk waren jetzt die Umrisse einer Tür zu erkennen, die sich schwungvoll öffnete. Stimmengewirr, Rauch und Charleston-Musik quollen durch die Öffnung in den Aufzug. Miro gab Becky einen flüchtigen Kuss; das hier war ganz gewiss etwas nach ihrer beider Geschmack. Eine Flüsterkneipe, ein Speakeasy, in dem man tanzen und trinken konnte.

Er sah sich um, sog lächelnd die übermütige Freude und Begeisterung der Menschen in diesem Raum ein, die sich mit dem Duft teurer Parfüms und billigen Alkohols vermischten und folgte seiner Frau in das lebhafte Gedränge.

Die Band legte gerade einen flotten Charleston hin und die Beine der Tanzenden auf der winzigen Tanzfläche in der Mitte des Raumes flogen durch die Luft. Frauen in knappen Kleidern und Männer in Hemd und offener Weste tanzten lachend zu der schnellen Musik, warfen ihre Arme in die Höhe und sangen die Zeilen des bekannten Liedes so fröhlich wie schief mit. Mit eleganter Professionalität hielt die Combo Takt und Melodie, trotz des ausgelassenen Gesangs der Gäste.

Becky winkte nach links und rechts und begrüßte unterwegs einzelne Personen. Auch Miro musste die ein oder andere Hand schütteln. Während unseres Aufenthaltes in San Francisco scheinen wir wirklich einen Menge Menschen kennengelernt zu haben, dachte er amüsiert. Und sie alle hatten anscheinend die gleiche Vorliebe für verrauchte kleine Kaschemmen, wie seine Frau und er.

Rund um die Tanzfläche standen eng aneinander kleine runde Tische mit zwei oder mehr Holzstühlen. Ebenso wie auf der Tanzfläche drängte sich auch hier eine fröhlich feiernde Menge. Um sie herum flitzten Kellner, hin und her wie eifrige Bienchen, bemüht jeden Wunsch so schnell wie möglich zu erfüllen.

Seit vor ein paar Jahren der Alkoholgenuss in den Vereinigten Staaten verboten worden war, tranken die Menschen so viel wie nie zuvor. Tja, dachte Miro, was verboten ist, wird eben interessanter. Allerdings war das Alkoholgeschäft nun in den Händen von Verbrechern. Doch da die Leute ihren Durst nicht verloren hatten, zuckten sie einfach mit den Schultern, zahlten die hohen Preise für ihren Whisky, Wodka oder Selbstgebrannten und feierten weiter wie zuvor.

An der linken Wand war die Bar: Zwei Barmänner bedienten sich aus einem hohen, schlichten Regal und mixten wenig Alkohol mit viel Saft und Eis zu Cocktails zusammen, die dann auf die glattpolierte Holzablage gestellt wurden. Von dort holten die Kellner die bestellten Getränke ab. Die Bienenkönigin kann stolz auf ihr Volk sein, dachte Miro während er fasziniert Barmixer und Kellner bei ihrem Treiben beobachtete.

Er fühlte sich hier pudelwohl. Wie in den vielen Stunden in den Pariser Cafés, als er selbst so manche Stunden in ähnlichen Kneipen verbracht hatte, ohne zu wissen, ob er für die Nacht ein Bett finden würde. Er hatte mit seinen Kumpels bis in die Morgenstunden diskutiert, über Mechanik und Politik, Liebe und Kunst, manchmal auch selbst gekellnert, um sich ein paar Francs dazu zu verdienen. Aber so viel er auch in dieser Zeit erlebt hatte, er würde sie nicht wiederhaben wollen, denn er hatte heute, was er sich immer gewünscht hatte.

Mit einem Schritt war Miro bei Becky und legte seinen Arm um ihre Hüfte. Becky strich kurz über seine Hand, dann winkte sie einem Kellner. Der sparte sich den Weg zu ihnen und wies einfach auf einen freien Tisch in seiner Nähe. »Komm mit«, sagte Becky und bahnte sich und Miro einen Weg.

»Na, ich sehe, wir sind in guter Gesellschaft heute Abend«, kommentierte Miro trocken, als sie an einem gut genährten Mann mit buschigem Schnurrbart und eng sitzendem dunkelgrauen Anzug vorbeigingen.

»Wieso?« Becky blickte in die Richtung, in die auch Miro sah.

»Der Herr hier mit dem übergroßen Schnurrbart ist unser hochgeschätzter Bürgermeister,«, erklärte Miro, »und die hübsche junge Dame neben ihm, sieht nicht so aus, wie ich seine holde Gattin in Erinnerung habe …«

Jetzt grinste auch Becky und ergänzte süffisant:«Und dort hinten sitzen noch ein paar Mitglieder des Stadtrats vor gefüllten Gläsern – und Schulter an Schulter mit einigen der zwielichtigsten Gesellen der Stadt!«

Miro versuchte erst gar nicht, ernst zu bleiben. »Wenn wir feiern, dann immer in der besten Gesellschaft, oder?!«

»Oh Verzeihung, tut mir wirklich leid.« Schon war er auf den nächsten Fuß getreten, der dieses Mal einer jungen, nun ja, Dame war nicht ganz die richtige Bezeichnung, gehörte.

»Macht nix, Schätzchen, hier, ich mach dir Platz.«

Die Stühle an dem Tisch, den sie endlich erreicht hatten, waren recht unbequem, aber kaum saßen sie, war auch schon der Kellner bei ihnen. »Was darf’s sein?«

»Ein Singapur Sling für die Dame und Whisky für mich«, bestellte Miro.

Der Kellner nickte, verschwand ohne ein weiteres Wort.

Miro zog seinen Hut, wollte ihn auf die Tischplatte legen, behielt ihn dann aber lieber in der Hand, da diese mehrere klebrige Pfützen aufwies. Er beugte sich über den Tisch, und sprach laut, um die Musik zu übertönen: »Das ist wirklich eine tolle Überraschung, Becky!«

Sie lachte und wippte im Takt mit ihrem Fuß. »Wusste ich doch, dass dir das hier gefallen würde. Ist es nicht wunderbar, so eine verruchte Lasterhöhle in einem so durch und durch gesetzten Hotel wie dem Excelsior? Vielleicht sollten wir den Alkohol in Deutschland auch verbieten – wenn es so viel Spaß macht, Verbote zu umgehen!«

»Ich glaube, auf Dauer würdest du das nicht mögen«, begann Miro, wurde aber durch die Rückkehr des Kellners unterbrochen. Der stellte ihnen die Gläser kommentarlos hin und wollte schon wieder abdrehen, doch Miros Ausruf ließ ihn stehen bleiben.

»Gütiger Himmel«, entfuhr es ihm. »Ihr Amerikaner!« Irritiert hielt er sein Glas hoch und starrte auf die Eiswürfel, die im Whisky schwammen und leise klirrten. Kurz entschlossen nahm Miro den Whisky und gab ihn dem verdutzten Kellner zurück. »Die nächste Runde unverwässert und unverdünnt, wenn ich bitten darf«, sagte Miro und legte eine zweistellige Dollarnote auf das Tablett.

»Geht klar«, sagte der Kellner und entfernte sich mit einem breiten Grinsen.

»Außerdem«, nahm Miro das Gespräch wieder auf, »kann ich mir nicht vorstellen, dass dieses lächerliche Gesetz noch lange halten wird.« Er schüttelte energisch den Kopf. »Die Polizei sieht doch auch, dass es eher das Gegenteil bringt.«

»Da bin ich mir nicht so sicher. Die Prohibition hat viele Unterstützer, die denken, ohne Alkohol würde unsere Gesellschaft besser werden.« Becky sah nachdenklich drein.

»Verbote machen niemanden besser«, sagte Miro bestimmt. »Aber lass uns nicht von Politik reden. Das verdirbt uns nur den Abend.«

»Du hast recht«, meinte Becky »Aber die neuen Mischgetränke, wie heißen sie noch? Ach ja, Cocktails, die finde ich gar nicht mal schlecht.«

In diesem Moment kam der Whisky zurück – diesmal ohne das von Miro so empört bemängelte Eis – und gleichzeitig stoppte abrupt die Musik, während die ohnehin schon schwache Beleuchtung weiter gedämpft wurde. Eine erwartungsvolle Stille breitete sich in dem engen Raum aus.

Von einem einzelnen Spot angestrahlt, öffnete sich der Vorhang, der den hinteren Teil der Bühne bedeckte und eine korpulente junge Frau trat heraus. Ihre brünetten Haare waren zu einem modischen kurzen Bubikopf geschnitten und sie trug ein silbern glitzerndes langes Kleid. Sie nickte dem Barmann zu und ging dann mit zielstrebigen Schritten in Richtung der kleinen Empore, auf der die Musiker saßen. Leise setzten diese wieder mit einer Melodie ein.

Die Frau stellte sich hinter das Mikrofon, das inzwischen von einer hilfreichen Hand dort platziert worden war und umfasste die Menge mit einem Blick.

»Heute abend widme ich mein erstes Lied einem ganz besonderen Menschen, den ich sehr vermisse …«

Und damit begann sie zu singen. Ihre volle, leicht rauchige Stimme umschmeichelte die Worte.

»My Baby’s eyes are blue as blue as summer skies …«

Miro sah seine Frau fragend an – hatte sie das etwa arrangiert? Es war das Lied, das er für sie gesungen hatte, an dem Tag, an dem er sie um ihre erste Verabredung gebeten hatte. Doch Becky, die seinen Blick richtig deutete, hob nur die Hände und schüttelte den Kopf.

»My baby’s hair is golden hued the kind I idolize …«

Und sie hatten dazu getanzt, als Miro sie gefragt hatte, ob sie ab jetzt ihr Leben mit ihm teilen wollte.

»And when my baby’s near I’m happy all the while …«

Er stand auf und reichte ihr die Hand, um sie auf die Tanzfläche zu entführen, wie damals.

»For there is nothing in this world just like my baby’s smile …«

Eng umschlungen führte er sie im Takt der Musik zwischen den anderen Paaren hindurch. Becky hatte den Kopf an seine Schulter geschmiegt und die Augen geschlossen, ganz verloren in dem Lied.

Auch Miro lauschte hingerissen der Sängerin, die eine Welt von Gefühlen in ihre Stimme legte.

»Sie ist wirklich gut«, flüsterte Becky Miro irgendwann leise ins Ohr und er nickte.

Das nächste Lied war wieder schnell und sie genossen es, dazu über die Tanzfläche zu fegen, laut singend und lachend. Nach einigen weiteren Liedern kündigte die Sängerin ihr letztes Stück an. Wilder Applaus brandete auf und begeisterte Pfiffe ertönten. Die Band begann eine langsame Melodie und zu dem schmachtenden Gesang sanken sich die Paare erneut in die Arme.

Als das Lied endete, verbeugte sich die Sängerin vor der Combo. Aus dem Publikum rollten Rufe wie »Komm schon«, »Noch eins, Mädchen« oder »Zugabe« durch den Raum, aber sie lächelte nur und schüttelte entschuldigend den Kopf. Die Band legte mit einem schnellen Tanzstück los. Die Rufe verklangen und das Tanzen ging weiter.

Während Miro zielstrebig ihren Tisch ansteuerte und umgehend eine neue Runde Getränke bestellte, verschwand Becky für einen Moment in der wogenden Menge. Als sie wieder auftauchte, war sie nicht allein – hinter ihr ging die junge Sängerin, die sie gerade so begeistert hatte.

Becky strahlte. »Ich habe tolle Neuigkeiten«, rief sie und ließ sich auf ihren Stuhl fallen, während sie mit einer Hand noch einen weiteren vom Nebentisch heranzog. »Annett wird uns nach Berlin begleiten und im Hotel Rose singen! Ist alles besprochen!«

»Aber Becky«, sagte Miro, obwohl er wusste, dass es keinen Sinn hatte, ihr etwas auszureden, wenn sie es sich in den Kopf gesetzt hatte, »wie soll das gehen? Wir reisen morgen ab und abgesehen davon, dass sie erst packen muss, hat sie vermutlich ein Engagement hier in San Francisco.«

»Nein, nein, das ist alles geklärt und kein Problem«, Becky zwinkerte der Sängerin gut gelaunt zu. »Annett hat gerade kein Engagement und wir fliegen ja erst übermorgen in aller Herrgottsfrühe los. Selbst wenn wir morgen Nachmittag zeitig am Zeppelin sein wollen, hat sie genug Zeit, um zu packen und sich zu verabschieden, wenn wir sie mit dem Auto abholen. Und ich werde morgen früh als Allererstes Mister Barker von der Luftschifffahrtsgesellschaft so bezirzen, dass er uns mit Freuden noch eine weitere Kabine gibt!«

Miro lachte und beugte sich zu Annett hinüber: »Ich hoffe, meine Frau hat sie damit nicht völlig überfahren. Es ist schließlich keine Kleinigkeit, einen anderen Kontinent zu besuchen.« Die letzten Worte sagte er mit einem strengen Blick zu Becky.

Seine Frau winkte ab. »Ach was, papperlapapp, es ist doch nur ein Engagement und nicht gleich für das ganze Leben. Und es ist ein Abenteuer, nicht wahr Annett?«

Die Sängerin nickte. »Also ich freue mich über das Angebot. Es rettet mir sozusagen das Leben!«

Becky strahlte erst sie, dann Miro an. »Siehst du, ich bin eine Lebensretterin, was sagt man dazu!«

Miro schüttelte amüsiert den Kopf. »Nehmen Sie meine Frau nur nicht allzu ernst, Miss …«, er stoppte, weil ihm auffiel, dass er ihren Namen gar nicht kannte.

»Jennings, Annett Jennings, aber sagen Sie Annett zu mir«, erklärte sie daraufhin.

Dann übernahm Becky wieder die Initiative. »Ein neuer Vertrag, das müssen wir nun wirklich feiern! Miro«, sie drehte sich zu ihrem Mann, »bitte besorge Annett doch auch etwas Anständiges zu trinken. Und Sie, Annett, müssen mich Becky nennen. Ihr Auftritt war übrigens wirklich wundervoll.«

»Dein Wunsch ist mir Befehl.« Mit diesen Worten erhob sich Miro, um einen Kellner zu suchen.

Becky wandte sich dagegen noch einmal an die Sängerin: »Ich hoffe, mein Mann hatte nicht Recht und ich habe sie völlig überfahren mit meinem Angebot. Aber ich war so begeistert und wir könnten in Berlin ein wenig frischen Wind gebrauchen.«

»Nein, ich meinte das ernst. Liebe Misses Berlioz«, sie korrigierte sich, »Becky, ihr Angebot kommt zu einem perfekten Zeitpunkt. Mein Verlobter ist gerade … ich meine zurzeit …«

In diesem Moment kam Miro wieder an den Tisch zurück – mit echtem Champagner und drei Gläsern.

»Seht mal, was ich Gutes auftreiben konnte.« Triumphierend hob er die Flasche mit dem edlen Gebräu in die Höhe.

»Oh wie schön«, seufzte Becky, »es geht doch nichts über ein Glas Champagner, wenn man etwas zu feiern hat. Und das haben wir ja in der Tat.« Sie nickte Annett zu. »Ich freue mich schon so darauf, mehr von Ihnen in Berlin zu hören, meine Liebe. Sie werden der Hit, da bin ich mir absolut sicher!«

Die Sängerin lächelte Becky an. »Das wäre wirklich toll.«

Miro hatte inzwischen die perlende Flüssigkeit in die Gläser gegossen, und reichte nun jedem ein Glas. »Wir freuen uns, dass Sie sich entschlossen haben, uns nach Deutschland zu begleiten. Ich hoffe, Sie werden Ihre Heimat nicht zu sehr vermissen.«

Annett sah ihre neuen Auftraggeber entschlossen an. »Ein wenig vielleicht, aber ein neues Land ist genau das Richtige, um den Gespenstern der Vergangenheit zu entfliehen.«

Sie musste die Stimme erheben, da im Hintergrund gerade »Toot, Toot, Tootsie« gespielt wurde, bei dem die Tänzer aus vollem Halse mitsangen. Vielleicht lag es an ihrer Stimme oder an ihrem Gesichtsausdruck, aber Miro spürte eine leichte Gänsehaut seine Arme hinaufkriechen bei diesen entschlossen vorgebrachten Worten. Sie hatten etwas Endgültiges an sich und schmeckten nach einem Abschied für immer. Etwas, das auch er schon kennen – und nur schwer akzeptieren gelernt hatte.

Becky sah ihren Mann mit einem kleinen Seitenblick an. Sie war immer schon gut darin gewesen, seine Stimmungen aufzufangen – und eine angespannte Situation zu entspannen.

»Dann mal hoch die Gläser, Ihr Lieben.« Mit diesen Worten hob sie Stimme und Glas und rief fröhlich: »Auf neue Anfänge!«

»Auf das Neue!«

»Auf neue Anfänge und auf die Reise!«, stimmte Annett ein. »Ich bin schon ganz aufgeregt, weil ich mit einem Luftschiff fahren werde!«.

»Ehrlich gesagt, wir auch ein wenig. Es ist auch für uns das erste Mal« antwortete Becky. »Andererseits stand in der Zeitung, dass man es sich eigentlich ganz wie eine Schiffsreise vorstellen muss. Es gibt Kabinen, einen Speisesaal und ein Promenadendeck, Romanzen und Intrigen. Nur eben in der Luft.«

In diesem Moment übertönten laute Stimmen die ohnehin ohrenbetäubende Musik. Am Eingang des Etablissements standen mehrere Kellner und diskutierten mit einigen Männern, die offensichtlich hinein wollten, aber nicht durften. Die immer hitziger werdende Diskussion lenkte die Aufmerksamkeit der Anwesenden jedoch nur kurz ab. Denn schon wurde das nächste schnelle Lied gespielt, dass wieder die Paare auf die Tanzfläche lockte.

Becky und Annett bemerkten die Störung nicht und unterhielten sich weiter. Miros Interesse hingegen war geweckt. Er sah interessiert zur Tür hinüber. Die wild gestikulierenden Männer sahen eigentlich aus wie die meisten anderen hier: Anzug, Hemd, Fliege oder Krawatte, den Hut noch auf dem Kopf.

Die Diskussion schien jedoch immer hitziger zu werden. Einer der Männer drängte sich an dem Türsteher vorbei, einen dunklen Gegenstand in der erhobenen Hand. War das eine Waffe? Wortfetzen waren jetzt zu verstehen.

»Hey, Sie, Moment mal …«

»Lassen Sie mich …«

»Sie können hier nicht so einfach …«

»Zurückkommen, sofort!«

»Wer …«

»Polizei, das ist Polizei glaube ich …«

»Mensch, raus hier …«

»Lass mich … schnell …«

Jetzt sah Miro genauer hin. Die Männer weiter hinten hatten tatsächlich Uniformen an und folgten einigen anderen in Straßenkleidung. Eine Razzia! Er erhob sich, um mehr Überblick zu bekommen.

Langsam wurden immer mehr Gäste auf die Vorgänge an der Tür aufmerksam, die Gerüchte trieben durch die Menge und dort, wo sie ankamen, wurde es hektisch. Männer und Frauen standen auf und reckten die Hälse, um zu sehen, was passierte.

Plötzlich stand auch seine Frau neben ihm. »Miro, was ist los?« Annett war ebenfalls aufgestanden.

»Ich fürchte, wir stecken mitten in einer Razzia fest, mon coeur«, antwortete Miro und hielt weiterhin Ausschau. Die Polizisten waren immer noch im vorderen Bereich des Raums, nahe dem Aufzug, von den Kellnern für den Moment aufgehalten.

»Wo?«, fragte Becky und stellte sich auf die Zehenspitzen. Ihre Stimme klang weniger besorgt, eher neugierig.

Miro zog eine Augenbraue hoch und sah sie fragend an. »Jetzt sag aber nicht, dass eine Nacht im Gefängnis von San Francisco auf deiner Liste der tausend Dinge steht, die du machen möchtest!«

»Wir wären heute Nacht ja in bester Gesellschaft«, antwortete Becky, »und ich war tatsächlich noch nie in einem Gefängnis.« Sie tat so als würde sie die Möglichkeit in Betracht ziehen. »Aber ich glaube, heute wäre nicht so passend. Schließlich muss ich noch Koffer packen!«

Miro ergriff Beckys Hand. »Dann sollten wir langsam gehen, die Kellner können schließlich nicht mehr lange über ihre eigenen und die Füße der Polizisten stolpern.«

Und tatsächlich bewegten sich die blauen Mützen jetzt in den Raum hinein.

Plötzlich knallte es laut. »Raus hier, schnell, raus!« Der leicht hysterische Schrei eines Mannes durchbrach die Ruhe vor dem Sturm und setzte die Menge schneller in Bewegung, als es die Aussicht auf einen Gratis-Drink geschafft hätte.

Chaos brach aus, während die Gäste versuchten, sich hinter der Theke zu verstecken und an den Neuankömmlingen vorbei zur Tür zu drängen. Die wiederum gaben sich Mühe, weiter in den Raum zu kommen, so dass um den Ausgang herum ein einziges Geschiebe und Gedränge entstand und keiner mehr irgendwo hinkam.

Becky gluckste. »Das hatte ich mir immer anders vorgestellt.«

Der Kellner, der auch Miros Tisch bedient hatte, schien nicht überrascht und rief mit ruhiger Stimme und so laut er konnte: »Aufräumen!«
Miro, der weiter die Menge beobachtet hatte, fluchte. »Verdammt! Sie kommen immer näher und wir nicht raus.«

»Sakra, seht Euch das an!« Becky hatte sich inzwischen wieder niedergelassen, schließlich war kein Durchkommen in Sicht, und zeigte jetzt ein klein wenig fassungslos in die Luft über ihren Köpfen.

Volle, halbvolle und leere Flaschen schwirrten über ihre Köpfe hinweg.

Die Kellner hatten auf beachtliche Weise auf die Ankündigung »Aufräumen« reagiert: Sie nahmen jede Flasche, derer sie habhaft werden konnte und warfen sie in Richtung der Bar. Bourbon, Gin, billiger Champagner flogen von rechts an ihnen vorbei. Dann ging es von links weiter mit Selbstgebranntem, Whisky und Likör.

Entsetzt sah Miro zu, wie alles an der Wand hinter dem Tresen zerschellte. Die fliegenden Flaschen verwandelten die Bar in Sekundenschnelle in ein klebriges Scherbenmeer, während sich die zwei Barmänner einfach nur duckten. Dann sah man einen Kopf und eine Hand hinter der Bar hervorkommen und einen kleinen mes­singfarbenen Griff in der Mitte der Regale mit den noch nicht getroffenen Flaschen umfassen. Mit einem Knir­schen kippten die Regalböden und der Fußboden nach unten weg und all das Glas mitsamt dem Schnaps, Schaumwein, Rum und Likör fiel einen Schacht hinab.

Miro schüttelte den Kopf. Wie konnte man nur so barbarisch mit Alkohol umgehen? Das Zeug hier war zwar nicht besonders gut, aber eine solche Behandlung fand er schlicht und einfach verabscheuungswürdig.

»Die Polizei hat hier wirklich eine durchschlagende Wirkung«, kam es trocken von Becky.

»Oje, leider bin ich heute Abend auch zum ersten Mal hier«, sagte Annett neben ihnen. »Ich sollte nur eine Freundin vertreten. Normalerweise weiß ich immer, wo man bei einer Razzia hinauskommt, aber hier …« Sie sah sich ein wenig verzweifelt um und zog die Schultern hoch.

Miro sah die Sängerin an, sie war bleich und schien zu zittern, ihren ruhigen Worten zum Trotz. Er blickte seine Frau an. »Vorschläge?«
Krisensituationen waren ihre Spezialität, das behaup­tete sie zumindest. Er selbst hatte inzwischen zwar auch schon eine Idee, aber er war gespannt, was Becky vorschlagen würde.

Seine Frau krauste die Stirn und beobachtete aufmerksam die Menge. Sie wirkte immer noch recht ungerührt angesichts der Gefahren für den Familienruf. Plötzlich kletterte ein Mann in den Vierzigern mit leicht angegrauten Haar und seinem Bowler in der Hand über den Tisch der Berlioz. Er fluchte, während mit lautem Klirren die Flasche und die restlichen Gläser klirrend zu Boden gingen.

Im selben Moment sprang Becky auf. »Folgt mir, ich führe Euch in die Freiheit!«, deklamierte sie und warf die Arme in die Höhe. Miro lächelte.

»Nur eine Sekunde noch …« Miro ließ sich weder durch fremde Männer auf dem Tisch noch durch das immer schlimmer werdende Chaos ablenken. Aufmerk­sam suchte er die Luft nach etwas ab und schnappte dann in einer schnellen, fließenden Bewegung zu.

Becky lachte laut auf, als sie sah, was ihr Mann da in der Hand hielt: eine Flasche Whisky.

»Für später«, rief Miro und zwinkerte Becky zu. »Denkst du an die Gläser?«

»Natürlich.« Sie nahm zwei noch Intakte vom Nachbartisch.

Annetts Gesichtsfarbe war inzwischen bei einem kalkigen weiß angekommen. Nervös sah sie über die Köpfe der Menge hinweg in Richtung der Polizeimützen, die ihnen schon recht nahe kamen. »Aber wie sollen wir nun hier rauskommen?«, fragte sie besorgt.

Becky war es, die auf den vorbeieilenden Bürgermeister wies, der bestimmt einen getarnten Notausgang kannte. »Wie immer, meine Liebe: Hoch erhobenen Hauptes und alles abstreitend.«

Der Mann mit den zwei Gesichtern
New York, eine Woche früher

»Wir brauchen Beweise, mein Freund. B e w e i s e. Und genau die werden Sie mir beschaffen«. Der Mann hinter dem großen Mahagoni-Schreibtisch sah sein Gegenüber ernst an.

Benjamin Franklin Truman, seines Zeichens nicht mehr ganz frischgebackener Reporter, war umstandslos in das Büro des Chefredakteurs beim Daily New Yorker zitiert worden, nachdem der den Entwurf für seinen neuesten Artikel gelesen hatte.

Es war ein beeindruckendes Büro. Die Größe entsprach in etwa der von Bens gesamtem Apartment, neben dem raumfüllenden Mahagoni-Schreibtisch befand sich ein gemütlich aussehendes Ledersofa mit zwei dazu passenden Sesseln darin.

An der Wand neben dem Fenster stand einer dieser Globen, deren Inneres vor der Prohibition wohl Hochprozentiges enthalten hatte. Die Wände, waren über und über mit Bildern gefüllt, die den Chef der Zeitung, den berühmten Hutchinson Hatch mit unzähligen Prominenten auf allen fünf Kontinenten zeigten.

Malcolm O’Brian, Chefredakteur aus Leidenschaft, erhob sich und sah seinen Reporter an.

»Irgendwas ist faul an der Fluglinie, das sagen mir meine Knochen. Gilt auch für diesen Russel Barker, den Besitzer. Aber ohne was Handfestes können wir nichts drucken, das wissen Sie doch, Ben. Wir können im Daily New Yorker nicht einfach wilde Behauptungen auf­stellen, wir brauchen Fakten!«

»Aber …«, mehr brachte Ben nicht heraus, dann übernahm schon wieder sein Chefredakteur.

»Kein ›aber‹ mein Lieber. Echte Knüller findet man nicht am Schreibtisch. Man geht an den Schauplatz des Verbrechens. Nehmen Sie sich den Chef zum Vorbild, junger Mann. Seine wahnsinnigsten Stories hat er höchstpersönlich recherchiert und dabei kein Risiko gescheut. Also raus mit Ihnen, sage ich. Finden Sie Beweise und bringen Sie mir eine echte Story!«

»Mister O’Brian, ich habe schon eine Idee, wie ich vielleicht …«

Wieder wurde der Reporter mitten im Satz unterbrochen. »Gloria hat mir berichtet, was sie wollten. Aber ich habe eine bessere Idee.« Der Chefredakteur legte schwungvoll ein Ticket und einen braunen Briefumschlag auf den Tisch.

»Einmal erster Klasse San Francisco – Berlin. Bitte schön. Und etwas für die Spesen noch dazu. Bedanken Sie sich beim Schicksal für die Gästeliste auf diesem Flug. Oder besser noch bei Gloria, meiner Sekretärin. Schließlich hat sie mich überredet, Ihnen dieses Ticket zu geben.«

Ben sah ihn leicht verwirrt an. »Wie meinen Sie das, dem Schicksal für die Gästeliste danken?«

»Tja«, knurrte O’Brian misslaunig, »da sind ziemlich bekannte Leute drauf. Ein echter Volltreffer für jeden Journalisten an Bord. Nur, dass eigentlich keine zugelassen sind. Wegen der Privatsphäre der Gäste. Pah.«

Er holte eine Zigarette aus einem kleinen Silberkästchen auf seinem Schreibtisch und steckte sie in den Mundwinkel ohne sie anzuzünden. Dann hielt er Ben ein Stück Papier hin.

»Hat schon einen Spitznamen, dieser Flug, weil die einen ganzen Haufen übernatürlicher Promis an Bord haben.«

Ben warf einen Blick auf die Liste in seiner Hand. Tatsächlich, die Autoren von diesen wissenschaftlichen Büchern zur Geisterauffindung, die Cabes, standen darauf. Ein Medium. Ein Zauberer. Interessante Mischung, dachte Ben.

»Und was hat das jetzt mit meinem Verdacht zu tun, dass irgendwer an Bord krumme Geschäfte macht?«

»Nichts. Aber wenn es gut läuft, kommen Sie mit zwei Riesenknüllern nach Hause: dem Tatsachenbericht über die Fahrt auf dem Geisterzeppelin und einer Story über die Fluglinie. Und die Geistergeschichte ist der Grund, warum ich die Spesen durchgekriegt habe. Das hat Hatch besonders gut gefallen.«

O’Brian lehnte sich zurück und faltete die Hände über seiner gut ausgefüllten grauen Weste.

Der Reporter sah seinen Chefredakteur nachdenklich an. Das war wirklich die Chance seines Lebens. Und wenn der Chefredakteur sagte, dass da ein Knüller drinsteckt, dann hatte er in der Regel auch Recht. Der Mann war gut, das musste man ihm lassen. Er hatte so einige große Stories geschrieben zu seiner Zeit als Reporter. Na ja, dachte er, er hat ja auch beim Chef persönlich gelernt.

»Na los, Ben, gehen Sie an Bord, rütteln sie an ein paar festen Gewissheiten und bringen sie ein wenig Leben in die Bude.« O’Brian kaute an der Zigarette in seinem Mundwinkel herum.

Ben nickt. »Geht in Ordnung, Chef. Was ist denn offiziell mein Auftrag?«

»Kein Auftrag. Sie sind offiziell nicht für uns unterwegs, sondern Geschäftsmann. Am besten irgendwas Vages wie Einkauf oder so. Wir sollten es nicht unnötig kompliziert machen.« Das sonst so ernste Gesicht des Chefredakteurs erhellte sich mit einem jungenhaften Grinsen. »Die Buchhaltung wird das hassen.«

Irgendwann, dachte Ben, muss ich mich mal mit dem Alten unterhalten. Wenn ich zurück bin und die Story veröffentlicht ist, trinke ich einen Whisky mit ihm und frage ihn nach seinen eigenen Abenteuern.

O’Brian fuhr fort: »Egal was Sie machen, Ben, kommen Sie gefälligst mit einem Knüller zurück! Einem, den Sie auch beweisen können. Und jetzt legen Sie los. Ich bin mit Hatch zum Mittagessen verabredet. Kann es einfach nicht lassen, sich einzumischen.«

Mit diesen Worten erhob sich der Chefredakteur schwungvoll von seinem Stuhl und hielt Ben zum Abschied die Hand hin. »Viel Glück, Truman.«

»Glück brauche ich dafür nicht, Chef. Geben Sie Gloria ein Küsschen von mir.«

»Übertreiben Sie es nicht, Truman.«

© 2017 Natalie Masche & Ulli Schwan

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