Leseprobe »Zwei Fäuste für ein Halleluja«

01

Als sie ihren Fuß das erste Mal in mein Büro setzte, war mir klar, dass diese Frau eines Tages mein Tod sein würde.

Woher ich das wusste? Ich schätze, weil das in meiner Branche einfach dazugehört. Nicht das Wissen, eher die unwiederbringliche Einsicht, dass einem irgendwann eine schöne Frau den Tod bringen wird. Und an Tagen wie heute erscheint einem selbst der Tod mehr als attraktiv.

Die Woche war ruhig gewesen. Totenstill. Wie eigentlich meistens in der letzten Zeit. Privatdetektive scheinen eine ausgestorbene Art zu sein, wie Dinosaurier oder ehrliche Politiker. Und ich war einer der Letzten dieser Art. Detektiv, nicht Politiker.

Der letzte Fall, den ich abgeschlossen hatte, war schon ein Weilchen her. Versicherungsbetrug, reiche Typen, die noch reicher werden wollten und unvorsichtig wurden. Keine große Sache. Aber ich hatte ihn gelöst und die Versicherung hatte mir dafür ein dickes Bündel Scheine versprochen – was immer das Versprechen einer Versicherung auch wert ist. Angekommen war davon bisher noch nichts.

Ich beschloss, dass es Zeit für mein patentiertes Heilmittel gegen miese Tage war und goss mir ein Fingerbreit Whiskey in die alte Tasse mit dem Sprung, die schon mein Vormieter benutzt hatte. Die Welt vor dem Fenster ertrank in grauem Novemberregen und ich im Selbstmitleid.

Sie trat ein ohne zu klopfen und ohne zu zögern. Die Tasse verharrte an meinen Lippen. Mann, das war ein Anblick. Sie trug ein eng anliegendes schwarzes Kleid, das der Regen an ihre Kurven geschmiegt hatte wie ein eifriger Liebhaber. Dazu trug sie das Gesicht eines übermüdeten Engels, umrahmt von schulterlangem, schwarzem Haar. Schwarze Augenringe inklusive.

Ich wollte aufspringen, hinauseilen in die Nacht und Heldentaten für sie vollbringen.

Heilige Scheiße! Ich schüttelte den Kopf, um ihn wieder klarzukriegen. Was war bloß los mit mir? Ich lachte normalerweise über die armen Trottel, die Heldentaten versprechen und sich dann eine Kugel in den Rücken einfangen.

»Jack Gold? Der Privatdetektiv?«

Sie sah mich an, die Klinke noch in der Hand und wartete. Ich nickte, die Tasse immer noch in der Hand.

»Höchstpersönlich. Was kann ich für Sie tun, Lady?«

Ich stellte den Whiskey ab und versuchte, in ihrem Gesicht zu lesen. Normalerweise kann ich das ziemlich gut. Kommt mit dem Job. Aber diese Frau hatte etwas an sich, das ich nicht lesen konnte.

Sie trat ganz in den Raum, schloss die Tür. Ging ein paar Schritte in den Raum und blieb dann stehen. Tropfte elegant auf die schäbigen Holzdielen meines Büros.

»Ich habe ein Problem.«

»Lady, das haben alle, die durch diese Tür kommen.«

»Dann sollte meine Frage wohl lauten, ob Sie es lösen können.«

Sie war nicht auf den Mund gefallen, gut. Ich verkniff mir ein Lächeln. Kam in der Regel nicht gut an bei neuen Klienten.

»Das kann ich erst sagen, wenn ich Ihr Problem kenne.«

Ich deutete auf den Stuhl, der auf der anderen Seite des alten Schreibtischs stand.

»Setzen Sie sich und erzählen Sie mir davon.«

»Mir wurde etwas gestohlen. Etwas sehr … Persönliches. Etwas sehr Wichtiges.«

Vermutlich irgendein Erbstück, dachte ich. Etwas, das eigentlich keinen großen Wert hat und schwer zu finden sein würde. Und die Bezahlung für die ganze Lauferei würde ebenfalls mies sein.

Aber natürlich würde ich den Auftrag trotzdem annehmen.

»Verraten Sie mir auch was, Lady? Könnte sonst schwer werden es zu finden. Und ich schätze mal, das soll ich, oder?«

Sie sah mich an, dann mein abgenutztes Büro. Schätzte mich ab, trat dann ein paar Schritte näher. Setzte sich aber nicht auf den unbequemen Metallstuhl. Kluges Kind.

»Ich habe richtige Lobeshymnen über Sie gehört, Gold. Sie seien intelligenter als Sie aussehen und Sie würden an einem Fall dranbleiben bis zum Ende, bis Sie Erfolg haben. Egal was kommt.«

Sie trat noch einen Schritt näher und schaute mich mit einem beunruhigend intensiven Blick an. Wie die Schlange das Kaninchen, bevor sie zustößt, schoss es mir durch den Kopf.

Ich wartete und schwieg. Meist war es genau das, was Klienten – oder Frauen – brauchten, um den nächsten Schritt zu machen.

»Ein Buch. In rotes Leder gebunden.«

Ich zog eine Augenbraue hoch. Sie verstand das Zeichen.

»Es hat mehr Bedeutung, als Sie denken.«

Sie zögerte, aber nur kurz.

»Ich weiß nicht, ob Sie an so etwas glauben, Gold, aber es gibt Gegenstände, die große Macht besitzen. Dieses Buch ist so ein Gegenstand. Nur wenige wissen überhaupt, dass es existiert – aber diese Leute würden ohne Skrupel töten, um es zu besitzen. Und ich fürchte, genau das haben sie bereits getan.«

Ihre Stimme klang wie warmer Honig. Süß, verlockend, floss sie in mein Ohr. Ihre Worte hingegen beunruhigten mich bis auf meine müden Knochen.

Ich stellte die einzig mögliche Frage.

»Warum gehen Sie damit nicht zur Polizei, Lady?«

Sie gab die einzig mögliche Antwort.

»Die Polizei kann mir dabei nicht helfen.«

Ich schloss kurz die Augen. Das klang nicht gut. Der erste Gedanke, der mir bei dieser Beschreibung in den Sinn kam war: Erpressung. Der zweite: Illegale Geschäfte. Pest und Cholera.

»Wer sagt, dass ich ihnen helfen kann?«

»Ihr Ruf.«

Ein kurzer geistiger Blick auf das schwarze Loch, das mein Bankkonto war und die öde Leere meines Terminkalenders machten mir mehr als deutlich, dass ich dringend einen neuen Auftrag brauchte.

Trotzdem musste ich eines klarstellen.

»Keine Ahnung von welchem Ruf Sie sprechen, Lady. Aber ich werde mich nicht in die Schusslinie stellen.

»Werden Sie den Fall übernehmen?«

»Das wird Sie etwas kosten.«

Meiner Schätzung nach, konnte ich bei Violet Black meine Rate verdoppeln, ohne dass sie sich eine Handtasche weniger leisten musste.

»Wie viel, Mister Gold?«

»500 pro Tag plus Spesen. Und ich brauche mehr Hinweise.«

Sie nickte, wirkte so als hätte sie nichts anderes erwartet. Zog eine Zeitung hervor und warf sie mir auf den Tisch.

»Das Bild auf der Titelseite.«

Ich sah mir die Seite an, überflog die Schlagzeile »Mann an sonnigem Tag von Blitz erschlagen« und blickte dann auf das Bild. Das Titelbild zeigte einen Mann, der auf dem Asphalt lag und eine Menge Menschen, die gaffend darum herum standen.

»Unfall?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Dann hat es mit Ihrem Buch zu tun?«

Ich hoffte, dass sie nein sagen würde. Irgendetwas hier stank zum Himmel, wie die Forellen von letzter Woche.

»Es ist nur ein Buch. Es sind immer Menschen, die töten. Aber darum geht es mir hier nicht. Der Mann dort. Sehen Sie, was er in der Hand hält?«

Der Duft eines herben Parfüms, ein wenig pudrig, stieg mir in die Nase. Verdammt, ich hatte nicht mal mitgekriegt, dass sie sich bewegt hatte. Doch nun stand sie neben mir und ihr Finger tippte leicht auf das Foto.

Ich sah genauer hin. Ein kleiner, unscheinbarer Mann mit runder Brille und Halbglatze, Typ Buchhalter, stand in der ersten Reihe der Gaffer und sah direkt in die Kamera. Er hielt ein rotes Buch in den Händen, und lächelte wie jemand, der ein nettes kleines Geheimnis hat.

Ich sah zu ihr hoch.

»Kennen Sie ihn?«

Diesmal klang ihre Antwort spröde, kalt. Endgültig.

»Nein, das ist ja das Problem. Würde ich seinen Namen kennen, hätte er mein Buch nicht mehr.«

Mir kroch eine Gänsehaut über den Rücken. Nicht so charmant, wie sie auf den ersten Blick wirkte. Unsere Blicke trafen sich.

»Finden Sie ihn und das Buch, Gold. Oder finden Sie zumindest heraus, wie er heißt. Das ist lebenswichtig.«

© 2015 Natalie Masche

Hier endet die Leseprobe – mehr gibt es bei Amazon: Zwei Fäuste für ein Halleluja (Jack Gold – Detektiv der Toten 1)